1. Was ist das ADHS?

Mit dem ADHS bezeichnet man eine Vielzahl an Symptomen, die ein Kind, ein Jugendlicher und auch ein Erwachsener zeigen können. Es ist die häufigste psychische Störung im Kindes- und Jugendalter und wird im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV; AMERICAN PSYCHOLOGICAL ASSOCIATION, 1994) anhand der Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität (Link) beschrieben. Vom ADS betroffene Kinder sind leicht ablenkbar, wenden sich vielen Reizen zu; sie besitzen ein starkes Bedürfnis nach Stimulation und sind überaus aktiv. Oftmals sind Kinder mit einem ADS unorganisiert, ungeduldig und impulsiv, was ihre kognitiven Leistungen, motivationalen Prozesse und Verhaltensweisen betrifft. Das DSM-IV sieht drei Subtypen des ADS vor: den vorwiegend hyperaktiven, den vorwiegend unaufmerksamen und den kombiniert hyperaktiven unaufmerksamen Typus.
(Link) In der International Classification of Diseases (ICD-10; WELTGESUNDHEITS-ORGANISATION, 1991) wird das ADS als hyperkinetische Störung (HS) aufgefasst, wobei die Symptome Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit zur Diagnose gemeinsam auftreten müssen. Die ICD-10 verfügt somit über eine strengere Definition der Störung, die das Vorkommen des unaufmerksamen Typus ohne Hyperaktivität reduziert. Es zeichnet sich jedoch nach Meinung einiger Experten ab, dass sich der Begriff ADS durchsetzen wird. Im Übrigen wird im Englischen die Bezeichnung Attention Deficit Disorder (ADD) und Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) verwendet, während der Begriff Hyperkinese im Allgemeinen nicht auf das ADS bezogen wird.
Rückblickend durchlief das ADS die verschiedenen Phasen der Psychologie und erhielt Bezeichnungen wie ernsthafter Defekt in der moralischen Kontrolle, minimale zerebrale Dysfunktion oder auch hyperaktives Kind-Syndrom, während die Symptomatik in verschiedenen pädagogischen und psychologischen Feldern klar und entgegen der Auffassung, ADS sei eine epochaler Trenderscheinung, früh beschrieben wurde. Der Begriff der Hyperkinetischen Impulsstörung des Kindesalters wurde erstmalig in den 50er Jahren gebraucht, während die Bezeichnung Attention Deficit Disorder mit Erscheinen des DSM-III im Jahre 1980 etabliert wurde.

1.1 Die Symptomatik des ADS

Die Bezeichnung Hyperaktivität ist kein Synonym für das ADS, wie sie gerne verwendet wird. ADS zeigt sich in unterschiedlichen Symptomen, die sich durch Defizite in der Selbstregulation auszeichnen. Demzufolge sollte ADS als Unfähigkeit, Stimuli zu inhibieren (Reize zu hemmen), verstanden werden. Grundsätzlich wird das ADS als eine Störung mit Spektralcharakter angesehen. Die Symptomatik des ADS gliedert sich gemäß des DSM-IV in drei Subtypen, die mit Hilfe folgender Figuren des im Jahre 1845 erschienenen Buches "Der Struwwelpeter" vorgestellt werden:
HOFFMANN beschreibt mit der Darstellung des Zappelphilipps ein hyperaktives Kind. Der Zappelphilipp ist nicht in der Lage, still und ruhig bei Tisch zu sitzen. Er scheint wie von einem inneren Motor zur Aktivität getrieben, zappelt, wackelt und fummelt herum. Sein dominierendes Merkmal ist die Hyperaktivität (ADHS/ ADS+H). Häufig schreiben hyperaktive Kinder krakelig, haben hohe Unfallquoten und müssen ständig beschäftigt werden bzw. sich selbst ständig beschäftigen. Sie besitzen eine Neigung zu aufregenden, abenteuerlichen Aktivitäten.
Ein typisches Bild für ein ADS-Kind ohne Hyperaktivität (ADS-H) zeichnet HOFFMANN mit dem Hanns-Guck-in-die-Luft, der vorwiegend unaufmerksam durch die Straßen einer Stadt läuft. Er ist tagträumerisch, lässt sich leicht ablenken und achtet nicht auf seinen Weg. Er ist hauptsächlich von einer verstärkten Unaufmerksamkeit und Ablenkbarkeit geprägt. Kinder mit einem ADS-H schweifen oft in ihren Gedanken ab, sie scheinen zu träumen und vergessen häufig alltägliche Dinge oder verlieren bzw. verlegen Gegenstände. In der Figur des Paulinchens finden sich Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit wieder. Zum einen sucht sie nach Aktivität und fummelt mit den Streichhölzern herum, zum anderen geht sie damit unvorsichtig und unaufmerksam um. Das Paulinchen kann als Mischtypus beider Merkmale aufgefasst werden und ist kombiniert hyperaktiv und unaufmerksam (ADS+/-H). Daher weist es entsprechende Verhaltensweisen auf und ist demzufolge schwierig einzuschätzen.
Weitere Figuren des Struwwelpeters enthalten Merkmale, die mit dem ADS in Verbindung zu bringen sind. Zu diesen gehören bspw. der bitterböse Friederich oder auch der fliegende Robert.

2. Ätiologie und Epidemiologie des ADHS (Ursachen und Verbreitung des ADHS)

Zusammengefasst gehen Wissenschaftler davon aus, dass das ADS auf einer genetisch bedingten Anomalie des Gehirns hinsichtlich neuroanatomischer und neurochemischer Komponenten basiert. Darunter fallen Abweichungen in der Form und Größe verschiedener Gehirnstrukturen sowie Imbalancen im Neurotransmitterhaushalt. Da neuere Erkenntnisse auf Unterschiede zwischen hyperaktiven und unaufmerksamen Typen hinweisen, ist abzuwarten, ob in der Zukunft eine Differenzierung der Subtypen stattfinden wird. Insgesamt wird psychosozialen Faktoren lediglich eine katalysatorische Rolle hinsichtlich der Störungsausprägung, nicht aber eine ursächliche Funktion zugesprochen. Die Idee, Erziehungsfehler könnten ein ADS verursachen, gilt als widerlegt. Die Idee, Erziehungsfehler könnten ein ADS in seinem Ausmaß verbessern oder verschlimmern, gilt als bestätigt.

2.1 Genetische Aspekte

Hinsichtlich der Entstehung des ADS besteht in der Wissenschaft noch keine absolute Gewissheit, doch herrscht Einstimmigkeit darüber, dass das ADS vererbt wird und lediglich in seinem Ausmaß psychosozial veränderbar ist. Adoptions- und Zwillingsstudien festigen die Theorien des genetischen Einflusses mit hohen Quoten von etwa 30% in älteren Untersuchungen und bis 80% in jüngeren Schätzungen.

2.2 Neuroanatomie und Neurochemie

Zu Beginn der 90er Jahre untersuchte QUINN neurophysiologische Komponenten der Informationsverarbeitung bei Personen mit ADS und stellt ein Integrationsmodell der neurochemischen und neuroanatomischen Forschungen vor. Dieses sieht als Ursache des ADS eine Dysregulation von Neurotransmittern, die eine mangelhafte Ausschüttung der Neurotransmitter, insbesondere Dopamin und Norepinephrin, in den synaptischen Spalt zur Folge hat und so zu vermehrter Ablenkbarkeit und verkürzter Daueraufmerksamkeitsspanne führt. Ausschließlich in Superreizkonfigurationen, d.h. bei starkem Interesse an dem jeweiligen Thema und hoher Selbstbestimmung, vollzieht sich die Ausschüttung der Neurotransmitter ausreichend.
Ebenfalls beruhend auf der Annahme einer neurochemischen Dysregulation entwickelt BARKLEY das hybrid model of executive functions and self-regulation. Dieses Modell basiert auf seinen Bemühungen, anhand neuro- und entwicklungspsychologischer wissenschaftlicher Forschungserkenntnisse, eine ganzheitliche Theorie zum ADS zu konstruieren. BARKLEY nimmt an, dass beim ADS ein Verhaltenshemmungsdefizit nicht nur zur bekannten Symptomatik wie Aufmerksamkeitsdefizit, motorischer Unruhe und Impulsivität führt, sondern dadurch auch keine Vorausschau und keine Einsicht möglich ist, die Internalisierung von Sprache schwierig ist und Defizite im analytischen und synthetischen Denken vorhanden sind.

2.2 Aspekte der Ernährung und Allergien

Im Übrigen steht die sogenannte allergologische Hypothese im Raum, dass "Nahrungsmittelzusätze wie Salizylate, Phosphate, künstliche Farbstoffe oder auch bestimmte Zucker (...) ätiopathogenetisch bedeutsam sind." Doch sind diese Annahmen bisher wissenschaftlich nicht belegbar, lediglich "[Eine] eine Minderheit von Kindern zeigt (...) unter einer oligoantigenen Diät eine signifikante Verbesserung expansiver Verhaltensweisen." Daher ist davon auszugehen, dass das ADHS in keinem großen Zusammenhang mit Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien zu sehen ist. Bei Einzelfällen ist jedoch manche Diät erfolgreich, für größere Gruppen nicht.

2.3 Verbreitung des ADHS

Die epidemiologischen Prävalenzraten des ADS schwanken im anglo-amerikanischen wie auch europäischen Raum zwischen 5 und 15%. In jeder Schulklasse befinden sich folglich ein oder zwei Kinder, die vom ADS betroffen sind. Aufgrund der unterschiedlichen Diagnosekriterien sowie Altersgruppen kommt es jedoch zu Abweichungen, die minimal bei 3% und maximal bei 25% liegen.
Die Relation zwischen Mädchen und Jungen beträgt etwa 1:3 in neueren Studien; ältere Studien berichten von Mädchen-Jungen-Relationen von 1:9. Allerdings muss hier eine Unterscheidung hinsichtlich der Subtypen getroffen werden, da der hyperaktive Typus bei durchschnittlich 1:4 und der unaufmerksame Typus bei 1:2 in der Mädchen-Jungen-Relation liegt. Hierbei sollte auch bedacht werden, dass Rollenerwartungen einen Einfluss auf das beobachtete Verhalten haben können.

3. Behandlung des ADS

Die Behandlung des ADS erfolgt üblicherweise zweigleisig: Neben der medikamentösen Therapie mit Psychostimulanzien stehen psychotherapeutische Ansätze, die speziell im Kindes- und Jugendalter auf Strukturierung und Unterstützung fokussieren. Darüber hinaus wird am kognitiven Leistungsniveau gearbeitet.
Im Erwachsenenalter liegt für psychotherapeutische Bemühungen eine Orientierung an akuten Problemen nahe, d.h. es werden zunächst Störungen gemäß DSM-IV/ICD-10 therapiert - jedoch ohne den Hintergrund des "submorbiden" ADS zu vernachlässigen. Die Angst ist heilbar, nicht aber das ADS. Im Falle einer sozialen Phobie steht ergo die Leistungsangst usf. im Vordergrund, die jedoch im Hinblick auf das ADS erklärbar ist und so einbezogen werden muss. Allein die (Teil-) Rückführung existierender Akutsymptomatik auf das ADS hilft, um Selbstvorwürfe zu hemmen und Verständnis und Einsicht in die eigene Störung zu gewinnen. Im Sinne einer Rückfallprophylaxe sollte stets ein Coaching oder eine Strukturierung (überwiegend im ambulanten Bereich) erfolgen.
Grundidee der zweigleisigen Therapie aus Medikation und Psychotherapie ist es, den medikamentös erwirkten Normalzustand des Patienten durch Psychotherapie zu nutzen, um eine kognitive Strukturierung vorzunehmen, die es dem Patienten ermöglicht, ab einem bestimmten Zeitpunkt ohne Medikament zurechtzukommen. Sozusagen wird geübt, bis die Abläufe schematisiert und automatisiert sind. Im Kindes- und Jugendalter wird eine Dauer von 18 bis 36 Monaten postuliert. Groß angelegte Studien zeigen hohe Effizienzen bei medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung (multimodal treatment); bei medikamentöser Behandlung alleine ist eine wesentlich höhere Tagesdosis notwendig, um ähnliche Effekte zu erzielen. Eine alleinige psychotherapeutische Behandlung des ADS hingegen liegt an dritter Stelle.



Nützliche Links:

BV AÜK e.V. ältester gemeinnütziger ADHD-Selbsthilfeverband Deutschlands bundesweit in Regional- und Landesgruppen
http://www.bv-auek.de/

Vereinigung zur Förderung von Kindern und Erwachsenen mit Teilleistungsschwächen e.V.
http://www.juvemus.de/






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